Über Fehlzeiten, Fluktuationsraten & Co. – und warum es nicht immer einfach ist ein BGM zu messen.
Kennzahlen, häufig auch KPI´s (Key Performance Indicator) genannt, sind aus den unterschiedlichsten Unternehmensbereichen heutzutage nicht mehr wegzudenken. Im Gegenteil, in den vergangenen Jahren lässt sich geradezu ein Boom solcher Kennzahlen feststellen. Ob die Click-Through-Rate im Digitalmarketing oder die Anlageneffektivität in der Produktion, viele modern aufgestellte Unternehmen haben mittlerweile eigens eingerichtete Dashboards, in denen alle relevanten Kennzahlen aus den jeweiligen Bereichen zusammenlaufen und auf einen Blick verfügbar sind. All dies mit einem gemeinsamen Ziel: Probleme und Defizite möglichst unmittelbar aufzudecken und die richtigen Entscheidungen zügig treffen zu können.
Nichts anderes gilt im Kern für das BGM. Dieser Unternehmensbereich kämpft vielerorts mit der Herausforderung, dass die betriebliche Gesundheit und das Betriebliche Gesundheitsmanagement nicht auf den ersten Blick sichtbar oder greifbar ist. Wie also sollen BGM-Verantwortliche Ihre Entscheidungen und Investitionen gegenüber dem Management rechtfertigen und auf die Frage „was bringt uns das überhaupt?“ reagieren?
Kennzahlen im BGM zu messen ist nicht leicht, aber unmöglich ist es nicht. Einige Kennzahlen werden ganz sicher bereits jetzt in Ihrem Unternehmen gemessen. Bevor wir auf einzelne Kennzahlen eingehen und diese näher beschreiben, stellt sich die Frage, was überhaupt eine Kennzahl im BGM ist?
Was hinter dem Begriff „Kennzahl“ steckt
Eine Kennzahl ist zunächst eine Information, die durch einen Wert x ausgedrückt wird. Diese Kennzahl kann zum einen innerbetriebliche oder zum anderen zwischenbetriebliche Informationen enthalten. Eine innerbetriebliche Kennzahl wird im Unternehmen gemessen, um den individuellen Fortschritt des Unternehmens zu messen. Eine zwischenbetriebliche Kennzahl hingegen soll Unternehmen innerhalb einer Branche vergleichen und ein Benchmarking herstellen. Im BGM werden aktuell fast ausschließlich innerbetriebliche Kennzahlen genutzt, da es noch weitgehend an übergreifenden Standards fehlt, die die Erfassung der Kennzahlen vereinheitlicht. Ein Branchenvergleich ist demnach selten möglich.
Neben der Einteilung in innerbetriebliche und zwischenbetriebliche Werte, lassen sich Kennzahlen im BGM auch in quantitative und qualitative Messgrößen unterteilen. Eine quantitative Kennzahl ist ein einfach messbarer Wert, der sich auch in Form von Zahlen ausdrücken lässt. Eine qualitative Kennzahl hingegen ist schwerer zu messen, sie wird auch häufig als sog. „weiche“ Kennzahl beschrieben und besitzt keinen Zahlenwert. Eine Möglichkeit, Informationen über qualitative Kennzahlen im BGM zu erhalten, sind direkte Befragungen von Mitarbeitenden.
Treiber, Früh- & Spätindikatoren
Spezifisch im BGM lassen sich die Kennzahlen in zwei verschiedene Kategorien unterteilen – Treiber und Indikatoren. Die Kennzahlen aus der Kategorie der Treiber zeigen die Arbeits- und Organisationsbedingungen an und geben Informationen über alle Faktoren, die grundsätzlich auf die Gesundheit der Mitarbeitenden einspielen könnten. Die Indikatoren hingegen zeigen die Auswirkungen der Treiber für das Unternehmen und lassen sich in Früh- und Spätindikatoren aufteilen. Während Spätindikatoren eher beschreibender Natur sind und Informationen aus Unternehmensprozessen wiedergeben, gehen Frühindikatoren stärker auf das Individuum ein und haben eine höhere Erklärungskraft. (Uhle & Treier, 2015)
Jede Kennzahl im BGM lässt sich den Kategorien Treiber, Frühindikator oder Spätindikator zuordnen. Beispielhaft haben wir neun Kennzahlen ausgewählt, die wir nun näher beschreiben.
Übersicht Kennzahlen nach Treibern, Früh- und Spätindikatoren (eigene Darstellung nach Uhle & Treier, 2011)
Fehlzeiten
Die quantitative Kennzahl „Fehlzeiten“ gibt an, wie viele Fehltage es im Unternehmen gibt. Mit der Anzahl der Mitarbeitenden im Unternehmen kann auch ein Durchschnittswert pro Person errechnet werden. Häufig wird diese Kennzahl bereits standardmäßig von der Personalabteilung erhoben. Die Anzahl der Fehltage ist der vermutlich meistgenutzte Wert, um ein BGM zu messen, jedoch kann diese Kennzahl lediglich anzeigen, dass es notwendig ist zu intervenieren und die Gesundheit zu stärken. Da Fehlzeiten jedoch aufgrund von physischen, psychischen oder sozialen Problemen entstehen können, gibt die Kennzahl keinen Hinweis, welche gesundheitlichen Beschwerden die Mitarbeitenden haben, warum also die Menschen fehlen.
Fluktuation
Die Fluktuation zeigt die Veränderung im Personal an und wird ebenfalls in der Personalabteilung berechnet. Eine hohe Fluktuationsquote spiegelt häufig eine Unzufriedenheit in dem Unternehmen wider. Diese Unzufriedenheit kann sich sowohl in sozialen als auch in psychischen oder physischen Beeinträchtigungen ausdrücken. Die quantitative Kennzahl der Fluktuation zeigt demnach an, dass die Mitarbeitenden durch die Beanspruchungen des Arbeitsplatzes betroffen sind, jedoch nicht welche Belastungen es im Unternehmen gibt.
Präsentismus
Der Begriff Präsentismus beschreibt die Situation, in der ein Mitarbeitender zur Arbeit erscheint, obwohl er krank ist. Diese Kennzahl ist sehr schwer zu erfassen, da jeder Mitarbeitende ein anderes Verständnis vom Begriff der Krankheit hat. Trotzdem kann der Präsentismus im Rahmen einer Mitarbeitendenbefragung oder eines Interviews ermittelt werden. Ein hoher Präsentismus-Wert kann beispielsweise durch hohen Druck im Arbeitsbereich des Mitarbeitenden oder durch eine Verankerung in der Unternehmenskultur ausgelöst werden.
Eine weitergehende Bewertung des Präsentismus hält fest, dass ein Mensch nur dann seine volle Leistung bringen kann, wenn er körperlich und mental dazu in der Lage ist (und nicht durch z.B. fehlende Gesundheit gemindert fähig). Oder aber es beschreibt die Situation, dass der Beschäftigte zwar gesundheitlich dazu in der Lage ist, aber aus mangelnder Bereitschaft (fehlender Motivation) dennoch nicht voll produktiv sein kann (oder will). Die Berechnung eines Präsentismus-Wertes ist daher sehr komplex. Sie ist aber umso wichtiger, da der Produktivitätsverlust – und demnach der Verlust an Leistung für das Unternehmen – durch Präsentismus um ein Vielfaches höher ist, als würden die Beschäftigten fehlen.
Wohlbefinden
Die qualitative Kennzahl „Wohlbefinden“ drückt die Verfassung der Mitarbeitenden aus und kann in Befragungen oder Interviews festgestellt werden. Eine kurze tagesaktuelle Abfrage, wie es den Mitarbeitenden geht, kann das Wohlbefinden schon darstellen. Ein Grund für ein nicht vorhandenes Wohlbefinden ist jedoch nicht direkt ersichtlich. Um diese Informationen herauszufinden und entsprechende Interventionen einzuleiten, muss eine Befragung dahingehend aufgestellt sein.
Betriebsklima
Das Betriebsklima beschreibt alle sozialen Beziehungen in einer Organisation und somit auch die Gesamtheit aller betrieblichen Erfahrungen durch den Mitarbeitenden (von Rosenstiel, 1989). Dabei geht es nicht um die Wahrnehmung eines einzelnen, sondern darum, wie der Betrieb von der gesamten Belegschaft erlebt wird und wie die betrieblichen Gegebenheiten gestaltet sind (von Rosenstiel, 1989). Die Kennzahl des Betriebsklimas beschreibt somit Teile der sozialen Gesundheit und wirkt sich gleichzeitig auf die psychische Gesundheit aus. Die Messung dieses Wertes ist komplex, da die Bewertung der Erfahrungen im Unternehmen subjektiv ist. Durch den Einsatz einer standardisierten Befragung kann ein Eindruck der Situation im Unternehmen ermittelt werden und qualitative Informationen zum Betriebsklima gesammelt werden.
Kommunikation
Die Verständigung untereinander wird unter dem Begriff der
Kommunikation zusammengefasst und ist ein Bestandteil der sozialen Gesundheit. Einen Wert für die Kommunikation zu finden ist nicht einfach, da diese Kennzahl ausschließlich qualitative Informationen enthält. Wird die Kommunikation als positiv wahrgenommen? Ist diese transparent, offen, klar und herzlich? Die Wahrnehmung der Kommunikation kann durch Befragungen und Interviews mit den Mitarbeitenden festgehalten werden und Informationen über die Kommunikation im Unternehmen liefern.
Leistungsfähigkeit
Leistungsfähigkeit kann mit Hilfe eines quantitativen Wertes ausgedrückt werden und zeigt an, wie viel Leistung der Mitarbeitende abrufen kann. Diese Kennzahl kann vor allem in kaufmännischen und administrativen Berufen nur sehr schwer gemessen werden und dementsprechend nur von den Mitarbeitenden, im Rahmen einer Befragung, selbst angegeben werden. Sowohl individuelle Probleme mit der physischen und psychischen Gesundheit als auch soziale Aspekte können die Leistungsfähigkeit einschränken. Aus diesem Grund muss eine Beschäftigtenbefragung immer durch die Ursachen der veränderten Leistungsfähigkeit ergänzt werden, um ein ganzheitliches Bild zu erhalten.
Arbeitsbedingungen
Unter Arbeitsbedingungen werden die Umstände und Einflüsse auf den Menschen am Arbeitsplatz verstanden. Dies können beispielsweise ergonomische, physikalische, psychische oder die Arbeitssicherheit betreffende Umstände sein. Die Kennzahl der Arbeitsbedingungen erhält ihre Informationen durch eine objektive Messung im Rahmen einer Arbeitsplatzbegehung. Ob eine Arbeitsbedingung auch eine Beeinträchtigung bei den Mitarbeitenden hervorruft, kann jedoch nicht immer durch die Arbeitsplatzbegehung festgestellt werden. Ebenso ist es schwer zu beurteilen, worauf sich die Arbeitsbedingungen hinsichtlich der Gesundheit der Mitarbeitenden auswirken. Um diese Informationen zu erhalten, müssen die Mitarbeitenden nach dem Grad und der Art und Weise der Beeinträchtigung befragt werden oder andere (subjektive) Messverfahren herangezogen werden.
Führungsverhalten
Das Führungsverhalten ist eine aktivierende, ergebnis- und zielorientierte Einflussnahme auf die Mitarbeitenden mit dem Ziel, Aufgaben und Arbeitssituationen strukturiert zu bewältigen (Springer Gabler Verlag, 2018). Die Kennzahl zum Führungsverhalten enthält ausschließlich qualitative Informationen und kann nur durch die objektive Wahrnehmung der Mitarbeitenden gemessen werden. Demnach ist die Erfassung der Kennzahl „Führungsverhalten“ im Rahmen einer Mitarbeitendenbefragung, in Interviews und Workshops möglich. Auf welche Faktoren der Gesundheit sich das Führungsverhalten auswirkt ist auf dem ersten Blick oft nicht sichtbar. Dies kann nur durch einen holistischen Ansatz tiefer ergründet werden.
Fazit
Kennzahlen im BGM geben Verantwortlichen die Möglichkeit, ein Bild der betrieblichen Gesundheit zu zeichnen. Dabei ist es wichtig, die unterschiedlichen Kennzahlen, quantitativ wie qualitativ, in einem Gesamtkonzept zu betrachten, da das BGM in seiner Gesamtheit viel zu komplex ist, um von einer einzigen Kennzahl abgedeckt zu werden. Dem höheren Aufwand zum Trotz, ist es wichtig, neben quantitativen Kennzahlen, wie z.B. den Fehlzeiten, auch qualitative Kennzahlen zu erheben und einzubeziehen. So haben qualitative Werte einen tieferen und detaillierteren Informationsgehalt über den Gesundheitszustand der Mitarbeitenden und können auch kausale Zusammenhänge besser aufzeigen. Quantitative Kennzahlen hingegen sind vor allem für das Management des Unternehmens besser greifbar und können den generellen Bedarf an BGM im Unternehmen aufzeigen. Aus diesem Grund ist ein guter Mix aus harten und weichen Kennzahlen entscheidend, um die Gesundheit im Unternehmen zu messen und das BGM sichtbar zu machen.
Quellen:
Springer Gabler Verlag (Hrsg.)(2018), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Führungsverhalten, abgerufen am 16.11.2021 unter https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/fuehrungsverhalten-35704/version-259180
Uhle, T. & Treier, M. (2011). Betriebliches Gesundheitsmanagement. Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt – Mitarbeiter einbinden, Prozesse gestalten, Erfolge messen. Springer. Berlin, Heidelberg.
Uhle, T., & Treier, M. (2015). Gesundheitscontrolling: Steuerung und Qualitätssicherung. In Betriebliches Gesundheitsmanagement (pp. 215-357). Springer, Berlin, Heidelberg.
Von Rosenstiel, L. (1989). Betriebsklima. In Handbuch Personalmarketing (pp. 55-67). Gabler Verlag.
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